Zum Abschluss dieses Abschnittes schlage ich Ihnen noch eine weitere kleine Übung zur Rahmenanalyse vor: In dem 1998 gedrehten Film von Thomas Vinterberg geht es um folgende Handlung: Hotelier Helge, das Oberhaupt der Familie Klingenfeldt-Hansen, trommelt seine ganze Familie auf einem idyllischen dänischen Landgasthof zusammen, um seinen 60. Geburtstag zu feiern. Doch die Feier läuft nach und nach aus dem Ruder. Während einer Rede von Helges ältestem Sohn Christian kommen Familiengeheimnisse ans Licht, die dem Fest langsam eine Wendung geben (vgl. Vinterberg, Thomas (1998): Festen (Das Fest), Dänemark (letzte Aufruf 27.06.2020)).
Sehen Sie sich den Film an und versuchen Sie herauszufinden, an welcher Stelle der von den meisten Anwesenden geteilte primäre Rahmen der Handlung kollektiv aufgegeben und verändert wird.
Lösung:
Der Film „Das Fest“ (1998) zeigt einige soziologisch interessanten Dimensionen, die sich untersuchen lassen. Uns interessiert im Folgenden, wie lange es dauert, bis der Rahmen eines bürgerlichen Festes – in diesem Fall einer Geburtstagfeier – aufgegeben wird und sich ein davon differenter Rahmen eines familialen Missbrauchsskandals etabliert, der für alle Beteiligten neu und ungewohnt ist. Der Wendepunkt des Filmes von schwierigen, aber noch friedlichen Familienbeziehungen im Rahmen eines bürgerlichen Festes zu einem familialen Missbrauchsskandal kann recht klar als die Rede des ältesten Sohnes Christian identifiziert werden. Die Gäste sind zwar verunsichert, aber keiner wagt es, den kollektiven Rahmen des bürgerlichen Festes zu durchbrechen. Auf seine Rede folgt ein Lied, als wäre nichts gewesen. Dies erleichtert zunächst die Beibehaltung des Rahmens. Nach dieser Rede wird von verschiedenen Akteuren zum einen immer wieder versucht, den Rahmen zu durchbrechen und von anderen zum Rahmen des bürgerlichen Festes zurückzukehren. Es sind aber schon erhebliche Brüche in der bürgerlichen Fassade des Festes sowie der Familie erkennbar, die auch durch die vehementen Versuche der Mutter und anderer Familienmitglieder, das Fest als Rahmen zu retten, nicht gekittet werden können. Als dann die Schwester von Christian einen Abschiedsbrief von dessen Zwillingsschwester verliest, in dem der Missbrauch auch von anderer Seite offenbart wird, kippt der Rahmen vollends. Es dauert jedoch noch bis zum nächsten Morgen, an dem der Vater beim Frühstück seine Taten gesteht, um den neuen Rahmen fest zu etablieren. Erst dann überwiegen die Orientierungen am neuen Rahmen eines familialen Missbrauchsskandals.
Nach Goffman stellen Rahmen das Organisationsprinzip der menschlichen Erfahrung und Interaktion dar. Die Rahmenanalyse dient dabei also im Wesentlichen der Klärung dessen, was in Interaktionen und Aktivitäten eigentlich vor sich geht. Am Beispiel dieses Films lässt sich deutlich erkennen, welche Sicherheiten diese Rahmen im Alltag geben und wie sehr sie unsere Erwartungen orientieren. Deswegen fällt es uns schwer, die alltäglichen Rahmen zu wechseln und uns in neue, zumal unbekannte Rahmen hineinzubegeben. Diese primären Rahmen bilden den Hauptbestandteil der Kultur einer sozialen Gruppe, also die zentralen Organisationsprinzipien ihrer alltäglichen Erfahrungen. Die qualitative Sozialforschung beschäftigt sich sowohl mit deren Identifikation als auch mit deren Wandel.