Übung für Zuhause 3: Durchführung von Krisenexperimenten im Alltag

Führen Sie bitte die nachfolgende kleine Übung in Ihrem Alltag aus. Versuchen Sie bitte, konstanten Augenkontakt mit einer fremden Person zu halten. Achten Sie dabei darauf, dass sichergestellt werden kann, dass keine Flirtabsichten ins Spiel kommen.

Lösung:

Diese Art von Experiment ist dadurch gekennzeichnet, dass mit einer alltäglichen Konvention gebrochen wird. Sie stellt in zivilen Situationen den Schutz der Privatsphäre sicher, indem wir unsere Mitmenschen nicht unter Beobachtung stellen. Der Bruch mit dieser Konvention stellt einen Bruch mit alltäglichen Gewissheiten dar, welcher in der Regel für Irritationen und auf beiden Seiten für Unwohlsein sorgt. Gerade einer fremden Person in die Augen zu blicken ist etwas, das die meisten von uns vermeiden, weil es in der nonverbalen Kommunikation eine zu große Nähe erzeugt. Seit über zwei Jahren veranstalten die Organisatoren Marco van Bree und Anne Sophie Jörgensen regelmäßig Eye Contact Experiments in München (siehe Harner, Miriam (2018): „Eye Contact-Experiment: Augen auf und durch“, in: puls am 01.06.2018 (letzter Aufruf 08.12.2020)).*

In Krisenexperimenten soll genau dieses Gefühl einer Situation in der Krise (eine andere Person starrt mich ohne ersichtlichen Grund an) erzeugt werden, um ungeschriebene Alltagsregeln und soziale Normen sichtbar werden zu lassen und erfassen zu können. Ein Krisenexperiment soll implizite soziale Normen erkennbar machen, indem durch die explizite Missachtung von sozialen Konventionen die Praktiken der Konstruktion von sozialer Wirklichkeit sichtbar gemacht werden können.

* Die Ursprünge der Idee zu solchen Experimenten kommt aus verschiedenen Richtungen. Vor zehn Jahren beispielsweise eröffnete Marina Abramovićs Performance „The Artist Is Present“ im MoMA in New York. Die Künstlerin ist bekannt für ihre außergewöhnlichen und häufig schockierenden Kunstdarstellungen, in denen sie sich selbst einbringt. Hier setzte sie sich in einem Raum des Museums auf einen Stuhl und Besucher*innen konnten sich ihr gegenübersetzen und mussten sich ihrem intensiven Blick aussetzen. Das Blickduell mit der Künstlerin gehörte nach Berichten für viele Besucher*innen zu den emotionalsten Erfahrungen ihres Kunstlebens und ist auch aus diesem Grunde so bekannt geworden. Es ist eine unbekannte Situation, die untypisch für unseren Alltag ist. Häufig fühlt man sich ertappt und hat den starken Drang sofort wegzuschauen, wenn zufällig Augenkontakt zwischen Fremden entsteht.